Studie und Leitfaden der LUA zum Thema Lebensraumtransplantation

I. Einleitung

Im Zuge diverser Naturschutzverfahren ist die Landesumweltanwaltschaft immer wieder mit Biotopverpflanzungen konfrontiert. Wenn eine Streuwiese, ein Niedermoor, ein Trockenrasen, ein Alpenrosengebüsch oder ein anderer hochwertiger, teils nach § 24 NSchG geschützter Lebensraum auf der Projektfläche die Umsetzung diverser Baumaßnahmen einschränkt oder gar zu verhindern droht, wird immer häufiger eine Versetzung des betroffenen Lebensraums projektiert. Dies kann z.B. durch das Abziehen und Wiederaufbringen von Rasenziegeln oder Abzug und Schüttung des Oberbodens bewerkstelligt werden. Doch stellt dies eine sinnvolle naturschutzfachliche Maßnahme dar, die tatsächlich den Erhalt des Lebensraumes auf lange Sicht garantieren kann?

Um mehr Kenntnisse über Biotopverpflanzungen zu gewinnen und in zukünftigen Verfahren die Konsequenzen dieser Methode besser einschätzen zu können, erstellt die Landesumweltanwaltschaft Salzburg eine umfassende Studie zum Thema Biotoptransplantation. Dafür wurden mehrere verpflanzte Lebensräume untersucht und  Literaturrecherchen sowie Umfragen unter Experten bzw. Planungsbüros durchgeführt. Dabei musste festgestellt werden, dass es leider nur wenige Langzeitstudien über verpflanzte Lebensräume gibt und auch Projekte, die im Zuge von Verfahren vergeben werden, selten ein langfristiges Monitoring der Vegetationsentwicklung beinhalten. Meist ist es dem durchführenden Biologen in seiner Freizeit oder in eigenständiger Forschungsarbeit überlassen, Erfolgskontrollen auch nach mehr als fünf Jahren durchzuführen. Somit liegen uns nur wenige, gut dokumentierte Studien und Erfahrungsberichte vor. Es können jedoch einige allgemeine Erkenntnisse zusammengefasst werden.
 

II. Ergebnisse

1. Erfolgswahrscheinlichkeit ist abhängig vom Lebensraumtyp und -zustand

Quellfluren, Hochmoore, Alpenrosen-Heiden und sonstige Zwergstrauchheiden sind laut der durchgeführten Umfrage schlecht zu verpflanzen. Bei den Heidegewächsen liegt dies vermutlich an der komplexen Wechselbeziehung zu Wurzelsymbionten, der Gefahr der Austrocknung, den speziellen kleinklimatischen Standortbedingungen (z.B. bei Windkantengesellschaften) und dem oft flachgründigen, leicht bröckelnden Boden.

Eine mäßig erfolgreiche Verpflanzung eingeschätzt bzw. gemischte Angaben gemacht, wurden bei Streuwiesen, Niedermooren, Halbtrockenrasen, alpinen Rasen und Waldbodenvegetation. Als sehr trockener und magerer Standort ist der Halbtrockenrasen wohl eher zu den schwer erfolgreich verpflanzbaren Lebensräumen zu zählen, was auch eine Studie aus Augsburg (Müller, 2002; Wittmann & Müller, 2013) untermauert. Insgesamt hängt die Erfolgswahrscheinlichkeit vor allem von der Komplexität des Lebensraums und dem Vorkommen spezialisierter, oft seltener Arten ab. Ein Verpflanzungserfolg wird zwar nicht automatisch ausgeschlossen, in vielen Fällen darf jedoch auch nicht leichtfertig davon ausgegangen werden, dass das Biotop durch die Verpflanzung „gerettet“ werden kann.

Gut verpflanzbar eingeschätzt wurden nährstoffreiche, monoton aufgebaute und feuchte Lebensräume wie Teichvegetation und Uferröhrichte, Großseggenrieder und gedüngte Feuchtwiesen, aber auch ausschlagfähige Gehölze (Ufergehölze, Hecken).

Frische Magerwiesen und -weiden der Tieflagen wurden zwar im Zuge der Umfrage auch als gut verpflanzbar eingestuft, die Verfasserin ist aber der Meinung, dass diese aufgrund ihrer Magerkeit, oft hoher Diversität und hohem Anteil an krautigen Arten eher zu den mäßig gut verpflanzbaren Lebensraumtypen zu zählen sind.
 

2. Verpflanzungsmethoden und zu berücksichtigende Standortfaktoren

Durch die Umfrage unter Fachleuten und Auswertung von Verpflanzungsstudien, konnte eruiert werden, welche Verpflanzungsmethoden am schonendsten für den zu verpflanzenden Lebensraum sind und bei welchenStandortfaktoren ganz besonders zu berücksichtigen ist, dass diese auf Spender- und Empfängerfläche einander gleichen.

Auf der Zielfläche sollten annähernd gleiche hydrologische Bedingungen wie am Ursprungsort vorliegen. Auch Boden-pH und Nährstoffgehalt müssen ähnlich sein, diese Bedingungen können aber in vielen Fällen auch technisch geschaffen werden. Eine kurze bzw. geeignete Lagerung der Vegetationssoden ist ebenfalls wichtig, um ein Austrocknen der Vegetation zu verhindern. Am meisten Bedeutung wurde einer optimalen Nachsorge und dauerhaften biotopkonformen Bewirtschaftung beigemessen. Darunter fallen z.B. die typische Herbstmahd bei Streuwiesen und Niedermooren, eine zusätzliche Aushagerungsmahd bei eutrophierten oder verschilften Beständen und ein Ausrupfen von Neophyten wie Goldrute oder Indisches Springkraut, wenn diese Lücken besiedeln. Ein zuerst aufwändig verpflanztes Biotop sollte auf keinen Fall anschließend der Verbrachung, sonstigen Sukzession oder gar Intensivierung überlassen werden.
 

3. Veränderungen der Vegetation, die in transplantierten Lebensräumen häufig auftreten

  • Nährstoffmobilisierung bei Verpflanzung von Magerbiotopen

Durch die Bodenbearbeitung im Zuge der Transplantation kommt es durch die bessere Durchlüftung des Bodens zu einer vermehrten Aktivierung der Bodenorganismen, wodurch infolge mehr organische Stoffe mineralisiert werden. Bei einer Verpflanzung von Magerstandorten führt dies zu einer Zunahme an stickstoffliebenden, konkurrenzstarken Gräsern und Hochstauden, wodurch die Magerzeiger – deren Erhalt meist das Ziel der Verpflanzung ist – über mehrere Jahre geschwächt werden.

  • Änderungen in den Deckungsverhältnissen

Sich vegetativ vermehrende und somit konkurrenzstarke Arten, wie ausläuferbildende Horstgräser, Großseggen und Binsen, sind im klaren Vorteil gegenüber niedrigwüchsigen, krautigen Pflanzen, die sich in erster Linie sexuell vermehren. Auch Hochstauden und diverse Störungszeiger sind in den ersten Jahren nach der Verpflanzung vermehrt zu erwarten. Leguminosen und Seggen bleiben meist konstant vorhanden. Ob seltene und/oder gefährdete Arten eine Verpflanzung überstehen, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Sie können den Transplantationsprozess durchaus überstehen, doch oft erlischt das Vorkommen nach wenigen Jahren, wenn sich z.B. deren Nachkommen im neu entstandenen Konkurrenzgefüge nicht durchsetzen können.

Bei optimaler Pflege kann sich die Artengarnitur eventuell nach vielen Jahren wieder an die ursprüngliche Zusammensetzung annähern. Bei einem verpflanzten Kalkmagerrasen (Müller, 1990; Müller, 2002) dauerte es allerdings 30 Jahre, bis der Anteil an Halbtrockenrasen-Arten wieder gleich hoch war, wie auf der Ursprungsfläche (Wittmann & Müller, 2013). Sehr unterschiedliche Ergebnisse treten bei Verpflanzungen zur Rettung von gefährdeten bzw. hochsensiblen Arten, wie zum Beispiel seltener Seggen-Arten oder Orchideen feuchter oder trockener Standorte auf. Aufgrund komplexer Beziehungen zu Wurzelsymbionten oder der Abhängigkeit von spezialisierten Bestäubern, kann auch hier in vielen Fällen ein Erfolg – wenngleich nicht ausgeschlossen –  nicht garantiert werden. Zur Errettung von Raritäten ist die Verpflanzung somit keine geeignete Methode, sondern kann eher als Verminderung des generellen Lebensraumverlusts betrachtet werden.
 

4. Wie stellt man eigentlich einen Verpflanzungserfolg fest?

  • Ziele a priori formulieren

Da ein verpflanzter Lebensraum nie völlig ident mit dem ursprünglichen Lebensraum sein kann, stellt sich die Frage, woran man eine erfolgreiche Verpflanzung messen kann. Es empfiehlt sich, vor einer Verpflanzung festzulegen, welche Besonderheiten den Lebensraum ausmachen (bestimmtes Artengefüge, besondere ökologische Funktion, Vorkommen von RL-Arten, …) und dann überprüfbare Erhaltungs- oder Entwicklungsziele zu formulieren.

Noch leicht zu überprüfen ist, ob im neuen Lebensraum eine vollständige Begrünung vorliegt, ob die Vegetation vital ist und auch noch dem ursprünglichen Biotoptyp entspricht. Etwas aufwändiger ist es, die Anzahl der Arten vor und nach der Transplantation zu vergleichen und  zu prüfen, ob noch dieselben Arten vorhanden sind. Auch ein Vergleich der Diversität (z.B. Shannon-Index, berücksichtigt sowohl die Artenzahl als auch deren Mengenverhältnisse) könnte herangezogen werden. Da viele Pflanzenarten einem gewissen Lebensraumtyp zugeordnet und somit in „Artgruppen“ eingeteilt werden können (z.B. Niedermoor, Pfeifengraswiese, Intensivwiese), kann auch verglichen werden, ob sich die Anteile der verschiedenen Artgruppen in einem verpflanzten Lebensraum ändern. Ähnliches lässt sich mit einer Einteilung der Pflanzenarten in verschiedene Wuchsformen (Hochstauden, Binsen, ausläuferbildende Gräser, rosettenbildende krautige Pflanzen,…) bewerkstelligen. Das Überleben und erfolgreiche Etablieren gefährdeter und/oder geschützter Arten ist ebenfalls ein wichtiges Kriterium. Auf keinen Fall sollten nur botanische Faktoren einbezogen, sondern auch das Vorkommen von Tierarten mitberücksichtigt werden.

  • Tierarten mitberücksichtigen

Die verschiedenen Faktoren der Biotopverpflanzung sind allein aus vegetationsökologischer Sicht bereits sehr komplex. Doch auch wenn die pflanzliche Artengarnitur erhalten werden kann, so muss bei der Beurteilung der gesamtökologischen Funktionsfähigkeit des Lebensraumes auch auf tierökologische Aspekte geachtet werden. Können gemeinsam mit dem Erdreich auch Insekteneier und Larven mitübertragen werden und sind für deren Überleben dann auch geeignete Standortbedingungen vorhanden? Bleibt nach der Verpflanzung ein Biotopverbund bestehen, damit Arten wieder einwandern bzw. durchwandern können? Auch im Hinblick auf weitere Organismengruppen wie Pilze und Mikroorganismen im Boden ist es verständlich, wenn Davy (2002) Transplantationsversuche als „gut informiertes Rätselraten“ bezeichnet.

  • Langfristiges Monitoring

Da in manchen Fällen ein Lebensraum in den ersten Jahren nach seiner Verpflanzung stabil wirkte, sich dann aber drastisch verschlechterte, ist bei sensiblen Lebensräumen ein langfristiges Monitoring von mindestens 10 Jahren unerlässlich. Sollte im Zuge des Monitorings festgestellt werden, dass die im Vorfeld formulierten Erhaltungs- und Entwicklungsziele nicht eingehalten werden können, müssen zusätzliche Maßnahmen zum Erreichen der Ziele, wie etwa eine Anpassung der Pflegemaßnahmen oder Ansalbung bestimmter Arten, getroffen werden.
 

III. Resümee

Noch 2020 soll die Studie publiziert und zusätzlich ein Leitfaden zu den Anforderungen von Lebensraumverpflanzungen für Behörden und Planungsbüros erstellt werden. Beide Dokumente werden auf der Homepage der Landesumweltanwaltschaft zur Verfügung gestellt.

Die LUA Salzburg hofft einerseits, die Verpflanzungsmethodik inklusive Nachsorge zu verbessern und andererseits, dass durch das Aufzeigen von Aufwand und Risiken die jeweiligen Entscheidungsträger eine Maßnahme, die eine Biotoptransplantation beinhält, nicht leichtfertig bewilligen. (sp)
 

Literatur:
Davy, A.J. (2002) Establishment and manipulation of plant populations and communities in terrestrial systems. Handbook of ecological restoration. Vol. 1. Principles of restoration. Editiert von Perrow M.R. und Davy J.A. Cambridge University Press, Campridge, pp. 223-241

Müller, N. (1990). Die Entwicklung eines verpflanzten Kalkmagerrasens–Erste Ergebnisse von Dauerbeobachtungsflächen in einer Lechfeldhaide. Natur und Landschaft, 1, 21-27.

Müller, N. (2002). Auswertung der Langzeituntersuchungen von Dauerflächen im Augsburger Stadtgebiet zur Renaturierung von Lechhaiden. Ber. Bay. Landesamt Umweltschutz. 97 Seiten.

Wittmann A., Müller N. (2013). Renaturierung Kalkmagerrasen I. Verpflanzung von Kalkmagerrasen – mit Auswertung Versuchsreihe „Botanischer Garten Augsburg“. Best Practice und Monitoring. Seminararbeit. Fachhochschule Erfurt. (unveröffentlicht)